«Was tun Sie, wenn Ihre Vorräte aufgebraucht sind und kein Geld da ist, um Essen zu kaufen?»

Was für uns ein Gedankenspiel ist, ist für viele Menschen im Niger und im Tschad bitterer Ernst. Nachdem Überschwemmungen die Ernten zerstört hatten, gab es im vergangenen Jahr kaum Vorräte für die Überbrückung der Trockenzeit.

Die Menschen reagierten, wie Menschen in solchen Notlagen reagieren: Zuerst weichen sie auf günstigere Lebensmittel aus, beispielsweise Cassava statt Reis. Dann erbitten sie Lebensmittel von Verwandten und Freunden oder essen, um zu überleben, das Saatgut, das eigentlich die kommende Ernte hätte sichern sollen. Im Tschad wird etwa Perlhirse, die für die Aussaat reserviert war, als Brei serviert. Ist die Vorratskammer leer, kaufen sie auf Pump ein. Wenn das nicht reicht, schicken sie die Kinder zum Arbeiten in reichere Familien. Mädchen werden verheiratet. Schliesslich wird rationiert: Oft essen die Frauen als Erste weniger, damit Kinder und Ehemann zu essen haben. Irgendwann gibt es statt drei oder zwei nur noch eine Mahlzeit am Tag und dann nur noch jeden zweiten Tag zu essen. Ultima Ratio ist der Entschluss, den Heimatort zu verlassen.

Diese beschriebenen Eskalationsstufen dienen als Index, um zu messen, wie schlimm die Lage ist. Mit dem ­Bewältigungsstrategie-Index (Coping Strategy Index – CSI) wird erfasst, wie häufig eine Strategie pro Woche angewendet wird und ob weniger schwerwiegende oder gravierende Strategien zum Zug kommen. Je höher die Frequenz und je gravierender die Strategie, desto schlimmer ist die Lage.

744 Tonnen Nahrungsmittel

Im Tschad waren im vergangenen Jahr während des Höhepunkts der Hungerkrise 93 Prozent der Menschen in den Provinzen Logone Oriental und Mandoul von schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen.

SWISSAID reagierte rasch und stellte Nothilfe für die Betroffenen in den ­Südprovinzen Logone Oriental und Mandoul auf die Beine. Nach dem Nothilfeeinsatz waren nur noch 52 Prozent der Bevölkerung in der Region von schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen, wie die Erhebung mit dem Bewältigungsstrategie-Index zeigt.

Insgesamt wurden 274 Tonnen Lebensmittel sowie 50,4 Tonnen Saatgut an rund 9’600 Menschen (darunter 2500 schwangere und stillende Frauen und 800 Kinder) verteilt und für 9’800 Menschen in 11 Dörfern der Zugang zu Trinkwasser sichergestellt.

Im Niger erhielten 2’500 Familien (17’500 Menschen) 470 Tonnen Lebensmittel und 7’900 Kleinbäuerinnen und -bauern Saatgut.

Transparenz als Schlüssel

Nachdem die Nothelferinnen die allerbedürftigsten Bevölkerungsgruppen bestimmt hatten, stellten sie sicher, dass alle gleich viel erhalten. Zur Erhebung und Überprüfung wurde in allen begünstigten Dörfern Kommissionen aus Männern, Frauen sowie Angehörige aller im Dorf vertretenen Religionen, eingesetzt. «Sie haben den Auftrag, darüber zu wachen, dass niemand seine Macht ausnutzt, um Familie und Freunde zu bevorzugen, und dass keine Korruption stattfindet», sagt Daniel Ott Fröhlicher, Programmverantwortlicher Tschad, SWISSAID.

Gesellschaftliche Kontrolle ist einer der besten Mechanismen, um Vetternwirtschaft zu verhindern, deshalb finden so viele Abläufe wie möglich in der Öffentlichkeit statt: Für die Verteilung der Nothilfepakete, kommen alle auf dem Dorfplatz zusammen. Ein weiteres erprobtes Mittel ist die Kommunikation über Plakate mit Fotos und Piktogrammen. So wird die ganze Bevölkerung über die bevorstehende Verteilung von Nothilfepaketen informiert.

Wenn sich trotz allen Massnahmen jemand benachteiligt fühlt, kann er sich bei den Kommissionen oder via Beschwerdetelefon, deren Nummer auf allen Plakaten gut sichtbar ist, beschweren. Alle Meldungen werden vertraulich behandelt. Nach der Verteilaktion finden Stichproben zur Kontrolle statt.

Die Nothilfeaktion wird breit gestreut: Auf Plakaten und Bannern erfahren die Menschen, wer Anrecht auf ein Nothilfepaket hat und wann die Verteilung stattfindet. Darauf ist auch eine Telefonnummer für Beschwerden vermerkt. In den Paketen sind Grundnahrungsmittel drin wie Bohnen, Sorghum, Mais und Öl. Für Familien mit kleinen Kindern gibt es oft Zusatznahrung für die Jüngsten. Etwas später erhalten die Klein­bäuerinnen und -bauern Saatgut, um die kommende Ernte zu sichern.

Partizipativer Ansatz

Im Idealfall gleicht die Durchführung einer Nothilfeaktion einem Befähigungsprozess: «Die Menschen erleben, dass die Verteilung geordnet abläuft und Regeln eingehalten werden, ohne Korruption und Vetternwirtschaft», so Daniel Ott Fröhlicher. «Am Schluss ist nicht nur die Hungerkrise überwunden, sondern auch die demokratischen Strukturen im Dorf sind gestärkt.» Auf solche Prozesse kann SWISSAID in künftigen Projekten aufbauen.