10. November 2023 in Dodoma, der Hauptstadt von Tansania. Die Sonne strahlt vom Himmel. Die Temperaturen sind angenehm warm. In der Luft mischt sich der Duft nach gebratenen Bananen, nach Mais von der Nationalspeise Ugali – und nach Aufbruch, Hoffnung auch. In einem Kongresszentrum mitten in der Stadt werden die Weichen für eine nachhaltige Landwirtschaft im ostafrikanischen Land gestellt. Es ist einer der Höhepunkte – und die Ernte – der Arbeit von ¬SWISSAID im vergangenen Jahr. An der von uns mitorganisierten Veranstaltung haben sich rund 300 hochrangige Politikerinnen mit Expertinnen, Vertretern aus NGOs und Kleinbäuerinnen über Agrarökologie, traditionelles Saatgut und Marktzugang ausgetauscht.

Es waren angeregte und anregende Diskussionen mit vielen Degustationen und Praxisnähe. Zum Abschluss wurde unter goldenem Konfettiregen der Startschuss zur nationalen Strategie für den ökologischen Landbau zelebriert. «Das zeigt die Bereitschaft der Regierung und schafft Perspektiven für die Agrarökologie im Land», sagt SWISSAID-Mitarbeitende Veronica Massawe.

Altes Wissen, neue Lösungen

Einer der Schwerpunkte der Veranstaltung war CROPS4HD. Für dieses 2021 lancierte Projekt arbeitet SWISSAID eng mit der Allianz für Ernährungssicherheit Afrika (AFSA) und dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) in den Ländern Tansania, Tschad, Niger und Indien zusammen. Unterstützt wird es von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA). Das Ziel: Mit agrarökologischen Methoden und vergessenen Nutzpflanzen (s. unten) eine gesunde und ausreichende Ernährung, insbesondere für Frauen, zu garantieren.

Erste Erkenntnisse aus Evaluationen in Tansania zeigen erfreuliche Ergebnisse: «Die Ernährungssicherheit nimmt insgesamt zu. Die Mahlzeiten werden ausgewogener und reichhaltiger», so Veronica Massawe. Zwar ist der Umstieg von einer intensiven hin zu einer extensiven Landwirtschaft für die Bäuerinnen mit Stolpersteinen verbunden, wie eine Umfrage bei über 200 Begünstigten zeigt. Die Erträge auf den Feldern nehmen im ersten Jahr ab, doch schon bald steigen sie wieder, zumeist deutlich über das vorherige Niveau. Zudem verringern sich die Produktionskosten, weil der Preis für teure Düngemittel, Pestizide und Saatgut wegfallen. Unter dem Strich bleibt den Haushalten also mehr zum Leben.

«Die Ernährungssicherheit nimmt insgesamt zu. Die Mahlzeiten werden ausgewogener und reichhaltiger», Veronica Massawe, SWISSAID-Mitarbeiterin in Tansania

Dies kann Amina Mohamed bestätigen. Die 40-jährige Kleinbäuerin wohnt in der Pwani-Region, im Osten Tansanias. Mit der Unterstützung von SWISSAID hat sie vor fünf Jahren ihre Felder auf Biolandbau umgestellt. Heute pflanzt sie eine Vielzahl von Gemüsen, Früchten und Weizen. Die selbst gezogenen Tomaten verkauft sie jeweils auf dem Markt in der nahe gelegenen Stadt. Pro Kilo erhält sie 2000 Shilling. Das sind umgerechnet 70 Rappen. Mit den herkömmlichen Tomaten erreichte sie einen Preis von 600 Shilling.

Um Ungeziefer fernzuhalten, mixt sie einen Brei aus Chili, Aloe Vera und der Rinde des Niembaumes. Als Dünger verwendet sie kompostierten Mist von den Kühen und Hühnern. Teure und schädliche Mittel gehören der Vergangenheit an. «Dadurch haben sich meine Ausgaben massiv gesenkt», so Amina Mohamed.

Nicht nur wirtschaftlich, auch gesundheitlich hat der Wechsel positive Wirkungen. «Heute esse ich viel abwechslungsreicher, und ich esse Gemüse auch mal direkt vom Feld. Das habe ich früher, als ich noch Pestizide eingesetzt habe, nie gemacht. Ich fühle mich wohler und bin weniger krank», so Amina Mohamed.

Weizen, Reis und Mais

Wurden in der Menschheitsgeschichte insgesamt rund 6’500 Pflanzenarten zur Ernährung angebaut, sind heute nur noch 170 von Bedeutung. Gerade mal drei Arten – Weizen, Reis und Mais – decken 40 Prozent unseres täglichen Kalorienbedarfs ab. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) geht davon aus, dass in den vergangenen 100 Jahren 75 Prozent aller Sorten verloren gegangen sind.

Diese Einseitigkeit schadet: Nicht nur die Vielfalt der Pflanzen, sondern auch die der Organismen und Insekten nimmt ab, sodass überlebenswichtige Kreisläufe für immer zerstört werden. Aber auch auf die Gesundheit der Menschen hat der Verlust der Vielfalt einen grossen Einfluss: Fast zwei Milliarden Menschen weltweit leiden an Mikronährstoffmangel. Ihnen fehlen Vitamine, Eisen, Zink oder Jod. Das geht aus dem Welthunger-Index 2023 hervor.

An der Nationalen Agrarökologie-Konferenz in Dodoma stellen Kleinbäuerinnen und -bauern ihr Saatgut aus.

Multis bestimmen die Saat

Ein Grund für die abnehmende Artenvielfalt ist die ­industrialisierte Landwirtschaft. Wo einst vielfältige Systeme die Landschaft prägten, sind heute standardisierte Produktionseinheiten, hochspezialisierte Wertschöpfungsketten und Monokulturen vorherrschend. Einige wenige, riesige Agrarkonzerne lenken die Landwirtschaft weltweit. «Die multinationalen Konzerne konzentrieren sich auf eine Handvoll Pflanzen. Ihr Ziel ist es, einzelne Sorten möglichst weltweit zu vermarkten. Das führt zum Verschwinden lokaler Sorten», erklärt Simon Degelo, Saatgutexperte bei SWISSAID. 

Zudem werden Länder des Globalen Südens durch Handelsabkommen von Industrieländern gezwungen, strenge Eigentumsrechte auf Saatgut anzuwenden. «Konkret dürfen die Bäuerinnen und Bauern kommerzielles Saatgut nicht mehr selbst vermehren, tauschen oder verkaufen. Sie müssen es also jedes Jahr neu kaufen», so Degelo. Da die grossen Saatgutkonzerne gleichzeitig auch die wichtigsten Anbieter von Pestiziden sind, haben sie wenig Interesse, genügsame Pflanzen zu züchten. Das Resultat sind grossflächige Monokulturen, in denen alles, was stört, abgetötet wird – Unkraut und Beikraut, Nützlinge und Schädlinge.

Doch zurück zum warmen Novembertag in Tansania. Zurück zur Konferenz. Diese war nicht nur der Auftakt für eine dringend nötige Veränderung im Agrarsektor. Sie zeigt auch exemplarisch auf, wie die Arbeit von SWISSAID funktioniert: lokal verankert, auf Augenhöhe, untereinander vernetzt. Mit einem kleinen Samen suchen wir die grossen Veränderungen weltweit. Denn nur gemeinsam lässt sich unsere Vision erreichen: Wir wollen eine Welt, in der wir den Hunger überwunden haben und auch die ärmsten Menschen ein gesundes, würdevolles und selbstbestimmtes Leben leben!

NUS – ein anderes Wort für Hoffnung

«Neglected and underutilized species» (NUS) sind Nutzpflanzen, die lange von Forschung und Züchtung vernachlässigt wurden – obwohl ihnen eine wichtige Rolle für die Ernährung insbesondere für benachteiligte Bevölkerungsschichten im ländlichen Raum zukommt. NUS sind in der Regel in den Umgebungen heimisch, in denen sie angebaut werden. Sie sind besser an lokale Bedingungen angepasst und erfordern weniger Dünger. Viele NUS können auf schlechten Böden und trockenen Bedingungen gedeihen. Dies macht sie zu einem wich­tigen Werkzeug im Kampf gegen den Klimawandel. Zu NUS gehören beispielsweise Fingerhirse, Bambara-Erdnüsse oder Amarant. Letzteres wächst innerhalb weniger Wochen, braucht wenig Wasser und liefert viele Nährstoffe. Mit NUS sind Menschen besser vor Hunger und Armut geschützt. Lesen Sie mehr zu NUS in der Broschüre «Agrobiodiversität auf dem Teller».

Amina Mohamed hat vor sechs Jahren auf biologischen Landbau umgestellt.

Langjährige Expertise

In Sachen Saatgut kann SWISSAID auf ein enormes Wissen und eine grosse Praxiserfahrung zurückgreifen. Bereits vor 30 Jahren unterstützte SWISSAID in Nicaragua die Kleinbauernbewegung «La Via Campesina». Landlose Bäuerinnen kämpften dort für ihre Rechte und begannen überdies, lokale Saatgut- und Getreidebanken zu betreiben.

Bis heute hat sich Saatgut als wichtigstes Element unserer Arbeit etabliert. Und zwar in allen Ländern: So führten Saatguthüterinnen in Nicaragua im vergangenen Jahr 406 Saatgutbanken. Sie züchteten bäuerliche ­Samen, achteten auf Vielfalt und bewahrten sich und den anderen Kleinbäuerinnen in der Umgebung die Unabhängigkeit von Agrarmultis.

Weltweit sind in den Projekten von ­SWISSAID 2’200 Saatguthüterinnen tätig. Sie bewahren das uralte Wissen rund um die Saat und geben es in ihren Gemeinschaften weiter. Zudem ermöglichen Sie ganzen Dörfern den Zugang zu bäuerlichen Samen. Im vergangenen Jahr profitierten davon rund 40 000 Menschen.

Saatgut für alle!

Saatgut wird zunehmend von Unternehmen privatisiert. Dank Ihrer Hilfe bleibt die Vielfalt an Pflanzen in den Händen von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern. Das sichert die Ernährungssouveränität und die Biodiversität.