Durch Handelsabkommen werden Länder des Südens von Industrieländern gezwungen, strenge geistige Eigentumsrechte auf Saatgut anzuwenden. Konkret dürfen die Bäuerinnen und Bauern patentiertes Saatgut nicht mehr selbst vermehren, tauschen oder verkaufen, sondern müssen es jedes Jahr neu kaufen.
Wird auch den Schweizer Bauern und Bäuerinnen verboten, Saatgut weiterzugeben und zu züchten?
Simon Degelo: In der Schweiz ist es bei vielen Kulturen, wie Getreide oder Kartoffeln, erlaubt das Saatgut weiterzuziehen ohne Lizenzgebühren zu bezahlen. Zwar wäre auch die Schweiz aufgrund des Abkommens UPOV 91 verpflichtet, dies zu verbieten, aber der Widerstand der Bäuerinnen und Bauern hat das Parlament dazu bewogen, die Vorgaben nur teilweise umzusetzen.
Angesichts der Tatsache, dass die Schweiz das Abkommen nur lückenhaft umsetzt, ist es umso stossender, dass sie Partnerländer in bilateralen Handelsabkommen zu einer wortgetreuen Umsetzung dieser Vorgaben zwingt. Für Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in Ländern wie Indonesien und Malaysia ist die Möglichkeit eigenes Saatgut weiterzuziehen, zu tauschen und zu verkaufen existenziell. Ausserdem verfügen viele der Partnerstaaten nicht über die demokratischen Strukturen, die es Bauernorganisationen, wie im Fall der Schweiz, ermöglichen, die Umsetzung schädlicher Gesetze zu verhindern.
Angesichts der Tatsache, dass die Schweiz das Abkommen nur lückenhaft umsetzt, ist es umso stossender, dass sie Partnerländer in bilateralen Handelsabkommen zu einer wortgetreuen Umsetzung dieser Vorgaben zwingt.
Simon Degelo, Verantwortlicher für Ernährungssouveränität und Saatgutexperte bei SWISSAID
Wie können wir diese Praktiken ändern?
Simon Degelo: Die Schwierigkeit ist, dass sehr wenige Menschen über diese Problematik Bescheid wissen. Wenn wir die Schweizer Regierung zum Umdenken bringen wollen, dann braucht es eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit, und Menschen, die sich für Veränderungen einsetzen. Dies ist das Ziel unserer aktuellen Saatgut-Kampagne «Veränderung säen».
Hat die Zunahme von Industriesaatgut auf Kosten von bäuerlichem Saatgut Auswirkungen darauf, was auf unsere Teller kommt?
Simon Degelo: Ja, die Konzerne, welche dieses Saatgut züchten, fokussieren sich weitgehend auf einige wenige Pflanzen: Weizen, Mais, Soja, Reis und einige Gemüsearten. Dabei zielen sie darauf ab, einzelne Sorten möglichst auf der ganzen Welt zu vermarkten. Dadurch verschwinden lokale Sorten, welche den örtlichen Gegebenheiten gut angepasst sind, wenig Dünger brauchen und uns mit speziellen Geschmäckern überraschen. Gemäss der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) sind im vergangenen Jahrhundert 75 Prozent der Sorten verloren gegangen.
Inwiefern beeinträchtigt die Verwendung von Industriesaatgut die Biodiversität?
Simon Degelo: Dieses Saatgut ist stark auf den Einsatz von Dünger und Pestiziden angewiesen. Da die grossen Saatgutkonzerne gleichzeitig auch die wichtigsten Anbieter von Pestiziden sind, haben sie wenig Interesse, genügsame Pflanzen zu züchten. Das Resultat sind grossflächige Monokulturen, in denen alle Unkräuter und Schädlinge abgetötet wurden. Kurzfristig können grosse Erträge eingefahren werden. Durch Pestizide und Überdüngung verschwinden aber auch Kräuter, Insekten, Wirbeltiere und Bodenorganismen. Dies führt dazu, dass längerfristig auch die Erträge sinken, weil der Boden an Fruchtbarkeit verliert und Schädlinge sich vermehren, da sie gegen Pestizide resistent werden und ihre natürlichen Feinde fehlen.