Daniele Polini, Themenverantwortlicher für Gender und WASH (Water, Sanitation and Hygiene, zu deutsch: Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene) bei SWISSAID, betrachtet die Entwicklungen der letzten Jahre und erläutert, wie sich SWISSAID in ihren Projekten für die Frauen einsetzt.
Wie hat sich die Situation für Frauen in der Gesellschaft in den letzten Jahren entwickelt?
Leider ist die Situation nicht sehr positiv. Die neuesten verfügbaren Daten zeigen, dass Fortschritte in einigen Bereichen durch eine radikal konservative Politik blockiert werden. In einigen Ländern sind sogar Rückschritte bei den Rechten der Frauen zu beobachten. Die Vereinigten Staaten sind ein deutliches Beispiel dafür.
Laut den Vereinten Nationen ist die Erreichung des Ziels für nachhaltige Entwicklung (SDG) 5 – die Gleichstellung der Geschlechter bis 2030, gefährdet. Dies beobachtet auch SWISSAID in ihren Partnerländern.
Wodurch wird diese Entwicklung beeinflusst?
Die Gesundheits-, Klima- und humanitären Krisen der letzten Jahre fallen insbesondere in ländlichen Gebieten mit einem Anstieg der Gewalt gegen Frauen zusammen. Studien zeigen, dass sich Frauen weniger sicher fühlen als vor der Pandemie. Dies ist auf das Zusammenwirken verschiedener Faktoren zurückzuführen, darunter insbesondere der durch die steigenden Preise erzeugte Stress und das ungleiche Einkommenssystem, auf dem viele Haushalte beruhen. In Haushalten, in denen das Einkommen nur von einem Elternteil erwirtschaftet wird, hat die prekäre Lage zu vermehrter häuslicher Gewalt geführt.
Wie bekämpft SWISSAID diese Herausforderungen konkret?
Für SWISSAID bleibt die Geschlechtergerechtigkeit, also gleiche und gerechte Machtverhältnisse zwischen Menschen, weiterhin ein zentrales Anliegen. Wir unterstützen Projekte und Organisationen, die sich für Gleichstellung einsetzen, in all unseren Einsatzländern. In den letzten Jahren wurden vermehrt erfolgreich Projekte initiiert und finanziert, die sich auf die Stärkung von Frauen und die Einbeziehung von Männern konzentrieren. Die positiven Erfahrungen, die in einigen Pilotländern gemacht wurden, werden auf andere Länder übertragen und angepasst. Zum Beispiel wird die intensive Sensibilisierungsarbeit gegen Gewalt an Frauen und Mädchen in Indien und Kolumbien nun auch in Niger und Ecuador angewandt.
Und auf politischer Ebene?
SWISSAID engagiert sich stark in der Unterstützung von Frauenorganisationen. Die Stärkung bestehender Frauennetzwerke ist die nachhaltigste Arbeit, die wir leisten können. Das ist zum Beispiel das Ziel eines neuen Projekts im Tschad, das in Partnerschaft mit UN Women ((Link)), gestartet wurde. Und im Niger lancierten wir in Projekt für eine Plattform für Agrarökologie.
Sind Männer Teil dieser Gleichstellungsarbeit?
Ja, Männer spielen eine bedeutende Rolle bei der Emanzipation von Frauen. Wenn die Männer verstehen, wie wichtig es ist, dass Frauen selbstständig sind, verstehen sie auch den Einfluss auf das Einkommen, die Gesellschaft und die Kindererziehung – und sind eher bereit , diese Entwicklung zu unterstützen.
In Gemeinden im Niger wird aktiv Aufklärungsarbeit geleistet: Es werden Männergruppen gebildet, die verschiedene Aspekte der Ungleichheit diskutieren. Beispielsweise die Kluft zwischen der Arbeitslast von Männern und Frauen. Das Bewusstsein für die schädlichen Auswirkungen dieser Ungleichheiten auf die gesamte Gesellschaft hat viele Männer dazu motiviert, ihren Frauen bei der täglichen Arbeit zu unterstützen. Dadurch verringert sich die Arbeitsbelastung der Frauen, sodass sie sich anderen Aufgaben widmen können, wie zum Beispiel ihre Produkte auf dem Markt verkaufen. Dies hat positive Auswirkungen auf ihr Einkommen.
Sind alle unsere Partnerländer beim Thema Gleichstellung auf dem gleichen Stand oder gibt es Unterschiede?
Es gibt erhebliche Unterschiede sowohl auf Länderebene als auch in Bezug auf die verschiedenen Aspekte der Ungleichheit. SWISSAID verfolgt einen lokalen Ansatz. Jedes Projekt wird individuell an die jeweilige Situation angepasst. Vor der Umsetzung eines Projekts finden viele Gespräche mit den lokalen Partnern und der Bevölkerung statt, wobei auch nationale Daten berücksichtigt werden. Daher konzentriert sich die Arbeit in Myanmar, Tschad und Guinea-Bissau auf die wirtschaftliche Stärkung von Frauen. In Kolumbien, Ecuador und Indien liegt der Fokus eher auf der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen.