«Die Kohärenz der Arbeit von SWISSAID hat mich beeindruckt», sagt Mitte-Nationalrat Benjamin Roduit am Ende seiner Reise in Kolumbien. Vier Tage war er mit dem kolumbianischen SWISSAID-Team und Geschäftsführer Markus Allemann in einem Land unterwegs, das den «totalen Frieden» anstrebt: «Paz Total» – bei schwierigen Rahmenbedingungen. Der Delegation unter der Leitung von Fabian Molina gehörten zudem die Nationalrätinnen und Nationalräte Jon Pult (SP), Martina Munz (SP), Corina Gredig (GL), Marc Jost (EVP) und Pierre-André Page (SVP) an.
Kolumbien ist ein Land, in dem die Delegation einerseits rasante Fortschritte bestaunen konnte, in dem andererseits immer noch Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, wie IKRK-Chef Lorenzo Caraffi der Delegation erklärt. Trotz offiziellem Ende des Bürgerkriegs nimmt die Gewalt in einigen Regionen stark zu: Im kleinen Städtchen Morroa im Departement Sucre stirbt jeden Tag ein Mensch durch Gewalt – das bei nur 30’000 Einwohner:innen.
Schluss mit Gewalt gegen Frauen
Da sie nicht auf den Staat zählen können, haben sich hier 250 Frauen und Männer mit Unterstützung von Swissaid zusammengeschlossen, um sich gegenseitig Schutz und Unterstützung zu geben. Für die «Red comunitaria de prevención y detección de violencias» (Netzwerk der Gemeinschaft zur Prävention und Aufdeckung von Gewalt) ist klar: «Solange es Gewalt gegen Frauen gibt, ist kein Frieden möglich.»
Um dies zu erreichen, arbeiten sie eng mit Schulen, Behörden, Krankenhäusern und der Polizei zusammen. Mit Kampagnen klären sie die Bevölkerung auf, sprechen die Probleme offen an und tragen zur Aufklärung bei. So konnte das Netzwerk bereits über 10’000 Frauen und Männer erreichen.
Solange es Gewalt gegen Frauen gibt, kann es keinen Frieden geben.
Ohne Landrecht keine Unterstützung
Eine Autofahrt über schwerbefahrbare Naturwege bringt die Delegation zu den Kleinbauern Arcelio und Jorge Monterroza: Unter der sengenden Sonne im tropischen Trockenwald erarbeiten sich Onkel Arcelio und sein Neffe Jorge ein karges Auskommen. Sie beackern schon seit Jahrzehnten ein Land, das ihnen offiziell nicht gehört.
De facto sind sie die Besitzer des Landes, doch ohne verbriefte Rechte haben sie keinen Zugang zu staatlicher Unterstützung, beispielsweise Wasserlieferungen oder Bildung für die Kinder. Die Prozeduren, um die Landrechte verbriefen zu lassen sind langwierig und komplex. Ein Teufelskreis. Die Kleinbauern sind historisch die Leidtragenden einerseits der unrechtmässigen Aneignungen durch Guerilla-Gruppen und andererseits der Abwesenheit des Staates. Der Bürgerkrieg wird auch über territoriale Besitzansprüche ausgetragen. Die Kleinbauern schlossen sich zu Gewerkschaften und Komitees zusammen und haben mit verschiedenen Initiativen erste Erfolge für einen territorialen Frieden erzielt. SWISSAID ist mit anderen NGO eine wichtige Verbündete bei der Umsetzung der Initiativen.
Derweil die politischen Mühlen langsam malen, leitet SWISSAID die Kleinbauern zudem in agrarökologischen Methoden an, um ihre Familien trotz des Klimawandels sicher und ausgewogen ernähren zu können. Zur Zeit unseres Besuches wäre eigentlich der Beginn der Regenzeit, doch der Regen lässt, wie auch in den vergangenen Jahren, auf sich warten. Dennoch durch ein Blätterdach vor der Hitze geschützt, spriessen bei Arcelio Monterroza Baumsetzlinge. Der beeindruckende Temperaturunterschied unter dem bescheidenen Blätterdach bietet auch den Besuchenden eine willkommene Abkühlung.
Arcelio Monterroza, Kleinbauer im Departement Sucre, kann dank der Agarökologie sein Einkommen steigern.
Ein Kind von SWISSAID
Im Städtchen Sincelejo macht die Reisegruppe Bekanntschaft mit vier Vertreter:innen der Jugendplattform «Agenda Caribe. Paz con Juventud» (Agenda Caribe. Frieden mit der Jugend). Auch sie setzen sich für die «Paz Total» ein – und riskieren dabei wortwörtlich ihr Leben: Die Indigene Yina Ortega Benitez hat als Jugendliche ihr Heimatdorf verlassen. Sie hätte dort weder eine Ausbildung machen noch eine Arbeit finden können. Ihr Schicksal wäre mit grosser Wahrscheinlichkeit die Zwangsprostitution gewesen. Wäre sie ein Junge, hätte ihr wohl die Zwangsrekrutierung durch eine Guerilla-Gruppe gedroht. Dank SWISSAID konnte sie studieren und eine Arbeit finden. Stolz stellt sie sich als «Kind von SWISSAID» vor.
In der vergangenen Amtsperiode war sie Gemeinderätin in Palmito im Departement Sucre – und stand zeitweise unter Polizeischutz. Wenn die Morddrohungen zu zahlreich waren, versteckte sie sich abwechselnd bei verschiedenen Freunden. Doch Rückzug ist für sie keine Option: «Die Jugend ist die Gegenwart und die Zukunft. Wenn wir die Jugend nicht ins Boot holen, hat dieses Land keine Zukunft.»
Die Jugendplattform setzt sich für eine Stärkung der Rechte der Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein. Ihre Ziele: Bildung, Gleichberechtigung, politische Teilhabe, Teilhabe auch bei der Ausgestaltung des Friedensprozesses. Für diese Jungpolitiker ist klar: «Frieden ist nicht die Abwesenheit von bewaffnetem Konflikt – Frieden herrscht erst, wenn die Menschen wieder ein Recht auf Bildung, Sicherheit und Entscheidungs- und Bewegungsfreiheit haben.»
Die Reise-Delegation zusammen mit den vier Vertretenden der Jugendplattform Agenda Cariba. Frieden mit der Jugend.
Vordere Reihe: Walquiria Perez, Leiterin SWISSAID Kolumbien, Martina Munz (SP), Markus Allemann, Geschäftsführer SWISSAID, Maria Yeres und Fernando Luis Martinez Osuna, Yina Ortega Benitez, Corina Gredig (GL), Thaïs In der Smitten, Mediensprecherin SWISSAID,
Hintere Reihe: Benjamin Roduit (Mitte), Pierre-André Page (SVP), Fabian Molina (SP), Andreas Missbach, Geschäftsleiter Alliance Sud, Jon Pult (SP), Guilbert Valencia
Engagement aus- statt abbauen
Der Austausch mit den verschiedenen Akteuren zeigt: Die Bereitschaft für den Friedensprozess ist vorhanden, viele Menschen sind sogar bereit, ihr Leben dafür zu riskieren. Doch der der Weg ist lang, und die Tatsache, dass die Gewalt aktuell wieder zunimmt, zeigt, wie komplex und herausfordernd der Prozess ist.
SWISSAID wird ihre Arbeit in Kolumbien fortsetzen, denn Frieden ist nur möglich, wenn die Menschen vor Ort Perspektiven zurückgewinnen. Randnotiz an den Bundesrat: Mission not completed – es ist verfrüht, sich aus Lateinamerikanischen Staaten wie Kolumbien zurückzuziehen. Eine Meinung, die auch SP-Nationalrat Jon Pult teilt: «Wir sollten unser Engagement für Entwicklung und Frieden auch in Südamerika aus- statt abbauen!»
2016 schloss die Regierung Kolumbiens eine Vereinbarung mit der Guerilla-Organisation FARC ab. Die FARC legten die Waffen nieder und wandelte sich in eine politische Partei um. Leider gelang es dem Staat anschliessend nicht, das hieraus entstandene Machtvakuum zu füllen. An die Stelle der FARC sind andere Guerilla- sowie paramilitärische Gruppen getreten. Aktuell laufen Friedengespräche mit den verschiedenen Akteuren – die Schweiz ist bei den Dialogen als Vermittlerin dabei.